Die Bedeutung der Lehrkraft für die Motivation

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Dr. Michael Glaubitz

mathematik-unterrichten.de

In einem anderen Beitrag habe ich dargelegt, dass der Versuch, Schülerinnen und Schüler mit Anwendungsbezügen für das Fach zu motivieren, nicht unbedingt immer fruchtet, sondern sogar gewisse Risiken birgt. Es gibt jedoch andere Möglichkeiten, Schülerinnen und Schüler für das Fach Mathematik zu gewinnen. Ein wichtiger Schlüssel dazu liegt bei der Lehrkraft selbst. Studien legen nämlich nahe, dass “die Motivation für Mathematik früh entwickelt wird, im Laufe der Zeit sehr stabil bleibt und in hohem Maße von den Maßnahmen und Einstellungen der Lehrkräfte beeinflusst wird”. Dabei zeigt sich:

  • Schülerinnen und Schüler sind eher bereit sind, “Risiken” einzugehen (z. B. falsche Antworten zu “riskieren”), wenn sie darauf vertrauen können, dass sie dafür nicht kritisiert oder gar gedemütigt werden.
  • Schülerinnen und Schüler führen ihre Einstellungen zur Mathematik meist auf die Vorbildwirkung ihrer Lehrkräfte zurück bzw. darauf, welche (positiven oder negativen) Erfahrungen sie mit ihnen gemacht haben.

Vor allem der zweite Befund weist auf die große Verantwortung hin, die sich daraus ergibt:

Als Mathematiklehrer(in) bist du für deine Schülerinnen und Schüler oft das einzige positive mathematische Vorbild. 

Außerhalb der Schule treffen die Kinder und Jugendlichen eher auf Mathematikhasser oder Mathematikverweigerer. Wirklich überraschen kann das nicht: Erinnern wir uns einmal daran, wie viele Menschen es gibt, die regelrechte Angst vor Mathematik haben, oder bedenken wir, wie oft Mathematik in den Medien als abgehobenes Fach dargestellt wird, das nur etwas für Genies oder Spinner sei. Hinzu kommt, dass die Eltern vieler Schülerinnen und Schüler ungerührt einräumen oder sogar damit prahlen, dass sie selbst nie gut in Mathematik gewesen seien und dass auch die meisten Personen im Freundeskreis unserer Schülerinnen und Schüler Mathematik als ihr Hassfach bezeichnen. Es kommt sogar vor, dass sich Mathematiklehrkräfte negativ über ihr eigenes Fach äußern, und damit vor allem denen schaden, die es bei ihnen lernen (müssen).

In diesem Umfeld also bist du als Mathe-Lehrer(in) deiner Schülerinnen und Schüler meist die einzige Person, die sich ihnen gegenüber überhaupt je positiv über Mathematik äußert. Und da dies so ist, musst du diese Rolle engagiert und glaubwürdig vertreten – zum Wohle der Kinder und Jugendlichen, die bei dir lernen. Bemühe dich aktiv darum, das Fach in einem guten Licht darzustellen, damit jene es leichter lernen können. Dazu gehört, dass du deine eigene Begeisterung für das Fach zeigst, und dass du Lernumgebungen schaffst, die diese Begeisterung auch bei den Lernenden entfachen können. Das nämlich ist der eigentliche Auftrag, den wir alle uns immer wieder bewusst machen sollten: die Schülerinnen und Schüler nicht nur nach bestem Wissen und Gewissen zu unterrichten, sondern ihnen auch in Bezug auf Haltung und Motivation ein positives Vorbild zu sein. So helfen wir ihnen, selbst die Haltung und Motivation zu entwickeln, die Voraussetzung ist, um in diesem wichtigen Fach erfolgreich sein zu können.

Doch wie genau setzt man eigentlich ein gutes Vorbild? Wie füllt man die spezielle Rolle, nicht nur als Lehrer(in), sondern als Lehrer(in) für Mathematik motivierend aus? Hierfür haben sich einige einfache, gewissermaßen “goldene” Regeln bewährt, die in jeder Klasse, in jedem Alter, in jeder sozialen Zusammensetzung und bei jedem Thema gelten:

  1. Wir zeigen Empathie, aber entschuldigen uns nicht für die Herausforderungen, die das Fach nun einmal stellt.

    Wenn Schülerinnen und Schüler mit einem bestimmten Thema oder Verfahren nicht gut zurecht kommen, bringen wir Verständnis auf. Wir erzählen zum Beispiel davon, dass wir selbst auch schon (oft?) Schwierigkeiten hatten oder gelegentlich immer noch haben. Wenn uns in einer Unterrichtsstunde Fehler unterlaufen, verstecken wir diese nicht, sondern wir sorgen dafür, dass alle Schüler es erfahren. So sehen sie, dass jede und jeder Schwierigkeiten haben kann und es völlig normal ist, Fehler zu machen. Aber wir entschuldigen uns niemals dafür, dass wir unseren Schülerinnen und Schülern Mathematik „zumuten“, egal wie schwierig oder „langweilig“ sie für sie sein mag. Entschuldigungen sind fehl am Platz. Sie führen zu einer ungesunden Dynamik, in der die Lernenden die psychologische Oberhand gewinnen und wir als Lehrkraft sie immer wieder ködern und belohnen müssen, um sie gewissermaßen für ihre Bemühungen und ihr Ausharren zu „entschädigen“. Auf lange Sicht kann dies kaum funktionieren. Zudem ist es einfach anstrengend, sich fortwährend zu entschuldigen. Unterrichten und Lernen ist schon anstrengend genug, da braucht es keine weiteren Belastungen. Daher: Verständnis für Schwierigkeiten – ja, Entschuldigungen für Herausforderungen – nein.

  2. Wir verstecken unsere Begeisterung für Mathematik nicht.

    Bei manchen kommen wir vielleicht schräg rüber, weil wir Mathe super finden (ich hoffe jedenfalls, dass du Mathe auch super findest!). Schleimen wir uns deswegen aber nicht bei unseren Schülerinnen und Schülern ein, indem wir unsere Begeisterung herunterspielen und sagen, dass Mathematik zwar langweilig und anstrengend sein könne, sie aber nun mal dazugehöre und erledigt werden müsse, vor allem, wenn man Prüfungen bestehen möchte. Was würde solche Heuchelei bringen? Vielleicht würden uns ein paar Schülerinnen und Schüler ganz kurzfristig ein bisschen mehr mögen und uns sogar einige Minuten mehr Aufmerksamkeit oder Anstrengung schenken. Aber Teenager durchschauen Unehrlichkeit leichter und schneller als viele Erwachsene. Darum ist es für alle wirklich besser, wenn wir ehrlich bleiben und unumwunden zugeben, dass Mathematik genau unser „Ding“ ist, und dass wir unser Bestes tun werden, um verständlich zu machen, warum das so ist. Nicht jeder Schüler und jede Schülerin wird dies verstehen, manche werden uns weiterhin für  „schräg“ halten, andere uns bemitleiden. Die Mehrheit jedoch – davon bin ich überzeugt und das ist meine Erfahrung – wird Vertrauen und Respekt für unsere Authentizität entwickeln. Für die langfristigen Beziehungen zu unseren Schülerinnen und Schülern und für deren Leistungen kann das nur von Vorteil sein.

  3. Wenn wir ein Thema nicht mögen, lassen wir das nicht „raushängen“.

    Mathematik ist ein riesiges Gebiet. Nur ganz wenige Menschen sind in allen Teilbereichen gleichermaßen gut, und noch viel weniger Menschen machen sämtliche Bereiche Spaß. Aber egal, was wir von manchen Themen halten mögen, wir bemühen uns, keine negativen Gefühle auf die Schülerinnen und Schüler zu übertragen. Natürlich können wir zugeben, wenn wir bestimmte Teile der Mathematik „schwierig“ finden. An unserem grundsätzlichen Enthusiasmus lassen wir jedoch keinen Zweifel aufkommen. Denn wenn wir das täten, würden wir – eingedenk des Einflusses, den Lehrkräfte haben – Schülerinnen und Schülern den Spaß nehmen, den ein bestimmtes Thema oder Verfahren vielleicht unvermutet bei ihnen auslöst. Das steht niemandem zu.

  4. Wir schreiten beherzt ein, wenn jemand über den Fehler eines Mitschülers lacht oder sich über ihn lustig macht.

    Auch wenn wir sonst für unsere immer sehr geduldige, entspannte und humorvolle Art bekannt sind – sollte ein Schüler oder eine Schülerin es wagen, zu kichern oder auf andere Weise seinen Spott über die Antwort eines Mitschülers zum Ausdruck bringen, dann hört der Spaß auf. Die Lernenden müssen sich angstfrei in unserem Unterricht äußern können. Jede und jeder soll fest darauf vertrauen, auch für falsche Antworten nicht ausgelacht zu werden. Und wenn es doch einmal dazu kommt, ist unser Verhalten als Lehrkraft in dieser Situation entscheidend. Durch unsere Ansagen treten wir für eine positive Fehlerkultur ein, die unseren Unterricht (auch) auszeichnet. Wehe denen, die dies nicht respektieren … !

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