7 einfache Tweaks für sofort besseren Unterricht

A group of students in class and an adult teacher looking at a digital tablet.
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Dr. Michael Glaubitz

mathematik-unterrichten.de

Kennen Sie das? Da erzählt Ihnen ein Kollege von einer Idee für den Unterricht, die sofort so einleuchtend klingt, dass Sie sich wundern, warum Sie nicht selbst schon darauf gekommen sind. Nicht selten handelt es sich dabei um eine Kleinigkeit, die gar nicht schwer umzusetzen ist. Dennoch (oder auch gerade deshalb) haben solche „Tweaks“ das Potenzial, den Unterricht kräftig zu bereichern oder wirksamer zu machen.

Hier nun habe ich eine Liste einschlägiger Beispiele zusammengestellt, die aus vielen Jahren beruflicher Praxis erwachsen ist. Einige davon habe ich für meinen Unterricht selbst entwickelt, andere bei Kolleginnen und Kollegen abgeguckt. Vielleicht finden auch Sie hier Anregungen, die Sie bald selbst einmal ausprobieren möchten. Los geht’s:

View from above of group young professional entrepreneurs sitting at table in coworking space

Tweak 1 – „Stellt mir zwei Fragen!“

Dieser Tweak ist so simpel, so einleuchtend und zudem noch so häufig anwendbar, dass ich ihn direkt an den Anfang stellen möchte.

Jede Lehrerin und jeder Lehrer kennt wohl die folgende Situation: Wir haben soeben einen Sachverhalt oder einen Arbeitsauftrag erklärt (oder erklären lassen). Nun möchten wir sicherstellen, dass die Botschaft bei den Schülern angekommen ist. Andernfalls sollen sie jetzt bitte Fragen stellen. Viele Lehrkräfte sagen in dieser Situation Sätze wie „Hat noch jemand eine Frage?“ oder „Gibt’s hierzu noch Fragen?“ Als junger Lehrer habe ich das auch oft so gemacht – und genau wie die wohl meisten von uns damit meist nur Schweigen geerntet. Selbst wenn den Schülern nicht alles klar war (wie sich dann später herausstellte), hat kaum mal jemand nachgefragt.

Inzwischen habe ich darum solche Formulierungen wie „Gibt’s noch Fragen?“ ganz aus meinem Repertoire gestrichen. Stattdessen sage ich nur noch: 

Welche Fragen habt ihr?“
bzw.
„Wie lauten eure Fragen?“
oder noch besser
„Stellt mir zwei Fragen!“

und gebe zu verstehen, dass ich nun mit Fragen rechne. Das mag zunächst nur wie eine Nuance klingen, und macht doch so einen großen Unterschied. Denn diese leicht veränderte Formulierung wirkt viel einladender und ermutigender als „Habt ihr noch eine Frage?“ Fragen sind nicht nur etwas Normales, sondern etwas Gutes – sie zeigen, dass die Schüler bei der Sache sind und mitdenken. Deshalb sollten wir Fragen nicht bloß zulassen, sondern aktiv dazu auffordern, dass sie gestellt werden. (Warum fordern wir zwei Fragen? Weil die erste Frage oft von der Art „Steht da ein p oder ein q?“ ist. Erst ab der zweiten Frage handelt es sich dann meist um „echte“ Fragen.) 

Wenn Sie diesen unscheinbar wirkenden Tweak ausprobieren, werden Sie bald feststellen, dass Ihre Schüler sich viel abgeholter fühlen und tatsächlich anfangen, mehr Fragen zu stellen, die Ihnen wiederum schneller Aufschluss darüber geben, was verstanden wurde und was (noch) nicht.

Tweak 2 – „Wer hat das verstanden?“

Ähnlich simpel ist der folgende Tipp, den ich schon als Referendar von einem erfahrenen Ausbildungslehrer erhalten habe. Am Ende einer Erklärung fragte er seine Schüler nie: „Wer hat das noch nicht verstanden?“ – Diese Formulierung kannte ich von meinen eigenen Lehrern, die ich selbst als Schüler erlebt hatte, und hielt sie darum für ganz normal. Auch heute wird sie noch von Lehrkräften in solchen Situationen gestellt: „Wer hat das noch nicht verstanden?“ Mein Ausbildungslehrer aber fragte stattdessen (Trommelwirbel): „Wer hat das verstanden?“

Der Unterschied ist klein aber bedeutend. Die erste Fragestellung ist defizitorientiert. Sie erkundigt sich nach dem Unvermögen (etwas nicht verstanden zu haben). Die meisten Menschen (nicht nur Schüler) möchten sich eine solche Blöße nicht gern geben, da kann es der Lehrer noch so freundlich sagen und noch so gut meinen. Die Meldungen bleiben daher aus. Als Lehrkraft weiß man dann aber nicht: Hat es wirklich jeder verstanden, oder traut sich keiner, sich zu melden?

Die zweite Fragestellung ist da stärker. Wenn die Hände nun unten bleiben, dann kann man als Lehrkraft vermuten, dass die Schüler es nicht ganz verstanden haben (oder vor sich hin träumen, was auch nicht gut ist). Doch meistens melden sich etliche Schüler. Das beruhigt, erfreut und motiviert erst einmal – anscheinend ist doch viel verstanden worden.

Allerdings muss man zwei Dinge beachten. Zunächst einmal: Wie viele Schüler melden sich nichtwelche sind das und warum bleiben ihre Hände unten? Wenn man genau hinschaut, erhält man auf diese Weise schon mal ein viel differenzierteres Bild als vorher. Das weitere Vorgehen kann man darauf abstimmen.

In manchen Situationen ist es allerdings ratsam, weder die erste noch die zweite Frage zu stellen, sondern stattdessen lieber mit diagnostischen Methoden zu arbeiten, um den Lernfortschritt der Schüler wirklich transparent zu machen. Gerade bei komplexeren Sachverhalten kommt es nämlich allzu oft zum Phänomen der Verständnisillusion. Schüler glauben dann bloß, etwas verstanden zu haben, doch eigentlich trifft das (noch) nicht ganz zu. Da hilft die Selbsteinschätzung nicht unbedingt weiter. Das angeratene Vorgehen in einer solchen Situation wäre allerdings mehr als ein bloßer Tweak und verdient einen eigenen Beitrag.

Tweak 3 – Zeitbedarf anzeigen lassen

Am Ende von Erarbeitungsphasen frage ich die Schüler nicht bloß „Benötigt ihr noch Zeit?“ (zu unspezifisch) oder gar „Wer ist noch nicht fertig?“ (defizitorientiert), sondern konkret: „Zeigt mir mit den Fingern an, wie viele Minuten ihr noch benötigt!“ (0 bis 5). Auch hier liegt es auf der Hand, dass die Antworten differenzierter und informativer ausfallen. Natürlich könnte man zum Anzeigen des Zeitbedarfs auch fancy (digitale) Hilfsmittel einsetzen. Doch mit den Fingern geht’s wirklich am schnellsten und einfachsten, denn jeder Schüler hat sie dabei und sofort zur Hand (was schon Steve Jobs wusste).

Tweak 4 – Wechselnde Sitzordnungen

An vielen Tagen lose ich vor Beginn des eigentlichen Unterrichts eine neue, für die Stunde gültige Sitzordnung aus. Die Klasse wird dadurch immer wieder neu gemischt, und es bilden sich oft wechselnde Teams. Zugegeben – dieser Tweak ist bei den Schülern zunächst nicht so beliebt, da sie lieber in ihrer Komfortzone bleiben möchten. Doch die Fähigkeiten zur Zusammenarbeit und das soziale Klima in der Klasse verbessern sich schon nach kurzer Zeit so spürbar und nachhaltig, dass die Schüler schnell den Wert des Mischens erkennen und schätzen lernen. (Ein Research Paper dazu gibt es hier.)

Gelegentlich benutze ich auch mal digitale Hilfsmittel zum Mischen (z. B. ein Excel-Blatt oder eine Webseite wie diese). Am liebsten aber verteile ich zu Beginn der Stunde kleine Kärtchen, um den Schülerinnen und Schülern schnell und mühelos ihre jeweiligen Sitzplätze für die Stunde zuzulosen. Mit den Kärtchen kann ich sie zugleich persönlich zur Stunde begrüßen und motivieren (vor allem wenn Joker in den Kärtchen enthalten sind). Das führt direkt zum nächsten Tweak.

Tweak 5 – Jeden Schüler ansprechen

Vor, während oder nach jeder Stunde spreche ich mit jedem Schüler und jeder Schülerin mindestens einmal. Kein Schüler sollte durch den Tag gehen, ohne nicht mindestens einmal von einer Lehrkraft Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhalten zu haben.

Tweak 6 – Radierer verbannen

Radierer, Tintenkiller usw. versuche ich so weit wie möglich aus dem Unterricht zu verbannen. Dazu erkläre ich den Schülern, dass es völlig normal ist, wenn Fehler passieren, dass wir alle aus unseren Fehlern lernen und dass Fehler in meinem Unterricht darum auch nicht versteckt werden müssen. Dieses Signal allein schon sorgt zu Beginn eines Schuljahres bei den Schülern für Erleichterung und stärkt das Vertrauen. Und als Lehrer kann ich künftig die Problemstellen in den Schülernotizen viel besser erkennen und den Lernenden dadurch passgenauer helfen.

Die Regel gilt übrigens auch für mich selbst: Fehler, die ich an der Tafel produziere (ja, kommt vor), lösche ich nicht unauffällig aus – auch wenn es auf den digitalen Boards noch einfacher wäre als früher mit dem Schwamm. Stattdessen streiche ich gut sichtbar (farbig) durch und verbessere, was falsch war – Führung durch Vorbild! Auch der große Einstein hat durchgestrichen.

Tweak 7 – Schülerarbeiten abfotografieren

Schülerarbeiten fotografiere ich gern mit dem Smartphone ab, um sie am digitalen Board bzw. mit dem Beamer zeigen (lassen) zu können. Außerdem kann ich sie mir dann bei Bedarf nach der Stunde noch einmal genauer anschauen, ohne dafür ganze Hefte einsammeln (und schleppen) zu müssen. Für diesen Zweck muss ich natürlich darauf achten, dass die Schüler ihre Namen auf dem jeweiligen Blatt notieren, so dass ich später noch feststellen kann, wer das eigentlich geschrieben hat. Digitale Dokumentationen und Präsentationen klappen so auch in Räumen, in denen es keine Doku-Kamera gibt oder diese nicht funktioniert (soll ja vorkommen …)

Inzwischen gibt es auch gute Apps, die das Foto gleich in ein Digitalisat im pdf-Format umwandeln (z. B. CamScanner für iOS oder Android). Persönlich nutze ich aber fast immer nur die integrierte Kamera-App, weil mich die Verarbeitungsschritte einer Doku-App im Unterricht nur aufhalten.

Wenn man als Lehrkraft später etwas in das Digitalisat hineinschreiben möchte, könnte sich die Anschaffung eines Eingabegerätes mit Stift bezahlt machen. Ausgerechnet das iPad mit Apples Pencil ist dafür sehr beliebt geworden (Steve Jobs zum Trotz). Für mich haben sich auch das Surface Pro von Microsoft bzw. das preiswerte Galaxy Tab S6 Lite von Samsung (mit im Lieferumfang enthaltenen Stift) gut bewährt. Am Stand-PC tut bei mir ein XP-Pen Artist 12 Grafikmonitor gute Dienste.

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