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Dr. Michael Glaubitz

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Zur Diskussion um Denken und Lernen gehört auch das Thema Mathematikangst. Die Angst vor dem Fach ist leider sehr verbreitet und kann tatsächlich jeden treffen – auch die “guten” Schüler und sogar Lehrer. Grund genug, mehr darüber zu wissen.

Uns allen ist die Erfahrung geläufig, dass Schüler, die sich schwer tun, Mathematik zu lernen, bisweilen nicht nur Abneigung, sondern regelrechte Angst vor dem Fach entwickeln. Dies kann  schon in ganz frühen Jahren losgehen, schon im Grundschulalter, und hängt oft – aber nicht immer – mit Misserfolgserlebnissen im Fach zusammen. Unklar ist dabei allerdings, wie der kausale Zusammenhang üblicherweise aussieht – ob Matheangst Misserfolge bewirkt oder ob es sich umgekehrt verhält, dass erst Misserfolge die Angst vor dem Fach hervorrufen. Es wird auch diskutiert, ob soziale Erlebnisse – z. B. negative Kommentare von Autoritäten wie Eltern oder Lehrern – bei der Ausprägung der Angst eine gewichtige Rolle spielen.

Mathematikangst wird schon seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts erforscht, zunächst unter dem Begriff “Mathemaphobie”. Studien haben verschiedene interessante Aussagen zutage gefördert. So wissen wir inzwischen, dass es nur einen schwachen Zusammenhang zwischen der Angst vor Mathematik und der allgemeinen Intelligenz eines Menschen gibt. Das mag zunächst überraschen, passt jedoch zu der Beobachtung, dass auch mathematisch hochbegabte Schüler (oder Lehrer) zuweilen Angst vor dem Fach empfinden.

Vermutet wird, das Matheangst die korrekte Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses stört. Dies geschieht, wenn die Gedanken und Emotionen, die um die Angst kreisen, einen Teil des dort verfügbaren Platzes belegen. Dieser steht dann nicht mehr zur Bewältigung mathematischer Aufgaben zur Verfügung. Die Menschen, die dies erleben, spüren das berühmte “Brett vor dem Kopf”. Personen mit besonders leistungsfähigem Arbeitsgedächtnis betrifft dies übrigens am meisten: Sie zeigen nämlich den stärksten (negativen) Zusammenhang zwischen Mathematikangst und Mathematikleistung. Forscher vermuten, dass dies daran liegt, dass solche Menschen üblicherweise mit fortgeschrittenen Problemlösestrategien arbeiten, da sie über genügend Kapazität verfügen, diese zu verarbeiten. Die durch die Angst hervorgerufene Störung des Arbeitsgedächtnisses kann aber nun dazu führen, dass die Personen auf weniger erfolgreiche Problemlösestrategien ausweichen, um die Angstbelastung zu vermeiden. Diese wird nämlich, wie bildgebende Verfahren gezeigt haben, in den Bereichen des Gehirns angeregt, wo auch körperliche Schmerzen registriert werden. Matheangst wird also körperlich fühlbar wahrgenommen. Ironischerweise erweist sich damit ein Merkmal, das Menschen normalerweise hilft, Mathematik zu lernen – eine große Kapazität des Arbeitsgedächtnisses – als besonders anfällig für Störungen, wenn die Personen Angst entwickeln.

Angst vor Mathematik führt aber nicht gleichermaßen in allen Bereichen der Mathematik zu Leistungseinbußen, sondern nur in den kognitiv anspruchsvolleren. Grundlegende arithmetische Prozesse – insbesondere, wenn sie automatisiert wurden – belasten das Arbeitsgedächtnis kaum und sind daher weniger anfällig für die lähmenden Auswirkungen von Matheangst. Komplexere mathematische Aufgaben hingegen belasten das Arbeitsgedächtnis stärker, so dass Angstblockaden sich auch stärker auswirken.
Dies zeigt sich folgerichtig am deutlichsten im Unterricht der Oberstufe. Es ist eine bittere Ironie, dass die Angst vor Mathematik dann am stärksten stört, wenn die Schüler ihr Arbeitsgedächtnis am ehesten auf die jeweilige Aufgabe konzentrieren müssen.

Gerade im Zusammenhang mit anspruchsvollen mathematischen Themen fällt es daher besonders schwer, klar zwischen den Auswirkungen einer hohen Mathematikangst und einer geringen Mathematikkompetenz zu unterscheiden. Ist der Schüler, der eine komplexe Frage nicht beantworten kann, unzureichend informiert oder leidet er an Matheangst? Es wäre wichtig, dies zu wissen, um dem Betroffenen passgenau helfen zu können.

Plausibel erscheint die Annahme, dass insbesondere Tests, Klassenarbeiten und Klausuren, die unter Zeitdruck geschrieben werden, die Matheangst verstärken. Wenn auch vieles dafür spricht, ist die vermutete kausale Beziehung wissenschaftlich noch nicht gesichert. Leider sind in unserem System zeitlich streng begrenzte Testverfahren die eherne Regel in den Schulen.

Was tun?

Die Probleme rund um die Angst vor Mathematik sind ernst zu nehmen, da es jeden Schüler (oder Lehrer) unabhängig von seinem Leistungsniveau treffen kann. Wie geht man mit ihnen um? Wichtig sind die folgenden fünf Punkte:

  • Elementare Fertigkeiten sichern, Wissen ausbilden, Schüler stärken: Gutes fachliches Wissen erleichtert das Denken und Lernen, und das Vorhandensein von ausgeprägten Automatismen entlastet das Arbeitsgedächtnis zusätzlich. Die lähmenden Wirkungen von Matheangst fallen weniger ins Gewicht, wenn das Arbeitsgedächtnis von vornherein mehr Kapazität zur Verfügung hat.
  • Die Test- und Prüfungskultur ändern: Wie erwähnt, kann es vorteilhaft sein, den Zeitfaktor bei Tests und Prüfungen abzuschaffen oder zu mindern, so dass der Druck auf die Schüler verringert wird und sie zusätzlichen Spielraum gewinnen, um über ihre Antworten und Lösungen nachzudenken.
  • Kommunikative Fallen vermeiden: Wir müssen uns genau überlegen, wie wir mit Schülern sprechen, die Schwierigkeiten haben. Ein Trostpflaster in der Form von “Das ist schon in Ordnung, nicht jeder kann diese Art Aufgabe gut lösen” bestärkt Schüler eher in ihrer Ansicht, dass sie nicht gut in Mathematik seien und verstärkt ein bestimmtes Selbstbild. Das sollten wir vermeiden. Stattdessen sollten wir Zuversicht verbreiten, dass wir davon überzeugt sind, dass die Schüler besser werden, wenn sie hart an sich arbeiten und wirksame Lernstrategien befolgen.
  • Eltern und Erziehungsberechtigte mit einbeziehen: Den Erwachsenen, die das Kind zuhause betreuen und begleiten, sollten wir nahelegen, ihre Kinder insofern zu unterstützen, dass sie nicht negativ über den vermeintlichen “Schrecken” des Faches oder die Unmöglichkeit es zu lernen sprechen, sondern stattdessen Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder ausstrahlen. Hierzu sind eigentlich alle aufgerufen, die sich z. T. auch öffentlich über Mathematik äußern.
  • Unterstützung der Kinder betonen: Mathematikangst nimmt ab, wenn die Lernenden spüren, dass sie durch die Lehrkräfte deutlich unterstützt werden, indem sie viele Übungsaufgaben und durchgerechnete Beispiele von ihnen erhalten und im Unterricht viel Zuwendung und Rückmeldung erfahren.

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