Steuern mit Belohnungen und Sanktionen

Student presenting her report in the classroom
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Dr. Michael Glaubitz

mathematik-unterrichten.de

Hast du schon einmal einen Schüler „bestochen“, damit er seine Matheaufgaben erledigt? Manche Lehrer(innen) tun dies gelegentlich, einige sogar regelmäßig. Sie überreichen dann zwar kein Geld, aber sie bringen den Schülerinnen und Schülern z. B. Süßigkeiten zur Stunde mit oder spendieren ihnen ein Eis. Andere Lehrkräfte stellen eine „Spielstunde“ (oder „Filmstunde“) in Aussicht, wenn die Lernenden sich heute mal richtig anstrengen. Das ist Bestechung. 

Das Gegenteil kommt natürlich auch vor. Manche Lehrer(innen) lassen Schüler wegen fehlender Hausaufgaben nachsitzen, oder sie drohen damit, die Eltern anzurufen, wenn die Kinder sich nicht besser beteiligen. 

In all diesen Fällen nutzen Lehrkräfte externe „Anreize“, die dabei helfen sollen, ein gewünschtes Verhalten hervorzurufen oder zu verstärken bzw. ein nicht erwünschtes abzuschwächen oder zu unterbinden. Bestechen und Drohen sind nur besonders ausgeprägte Formen eines externen Anreiz- und Steuerungssystems, zu dem auch Lob und Tadel gehören. 

In der pädagogischen Literatur ist gerade dieses Thema schon sehr breit diskutiert worden. Wer sich hier orientieren möchte, dem sei das Buch “What every teacher needs to know about … psychology” von David Didau  und Nick Rose empfohlen. Lesenswert und besonders praxisorientiert ist auch Tom Bennetts “Behaviour Management Solutions for Teachers”.

Damit Belohnungen und Sanktionen tatsächlich wirken, kommt es zunächst einmal auf die gesamte Lern- und Leistungskultur einer Schule an. Schülerinnen und Schüler müssen wissen, was von ihnen grundsätzlich erwartet wird, und welche Konsequenzen es hat (oder eben auch nicht hat), wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Als einzelne Lehrkraft hängt man natürlich auch von dieser Kultur ab, die i. d. R. von der Schulleitung vorgegeben wird. So dürfte es z. B. schwierig werden, im Fach Mathematik auf die Erledigung von Hausaufgaben zu pochen, wenn an der Schule ansonsten ein Geist weht, der in Hausaufgaben ein Relikt aus grauer Vorzeit sieht. Ungeachtet dessen gibt es jedoch allgemein etablierte Steuerungsinstrumente, die wir mit einiger Zuverlässigkeit gut im eigenen Unterricht nutzen können. Allerdings sollten wir dies mit Bedacht tun.

Wertzuschreibungen

In einem anderen Posting habe ich schon darauf hingewiesen, dass Schülerinnen und Schüler vor allem dann motiviert sind, wenn sie in ihren Tätigkeiten einen Wert erkennen. Im Idealfall entsteht diese Überzeugung intrinsisch – durch die Aufgabe selbst oder durch die Kultur, die im Unterricht vorherrscht: dass Lernen an sich wertvoll ist, weil es den Menschen weiterbringt. 

Belohnungen für die Erledigung einer Aufgabe anzubieten oder Sanktionen im Falle der Nichterledigung anzukündigen, weist der Aufgabe aus Sicht der Lernenden ausdrücklich auch einen extrinsischen Wert zu. Sanktionen (z. B. schlechte Noten, Nachsitzen, Eltern anrufen) können dabei gemäß dem Prinzip der Verlustaversion von Tversky und Kahneman einen größeren Einfluss auf diese Wertzuschreibung haben, als externe Belohnungen (wie z. B. Auszeichnungen, Süßigkeiten oder ein einfaches Lob). Daher können Sanktionen im Unterricht durchaus wirksamer sein als die Gewährung von Vorteilen oder Belohnungen. 

Forschungen haben zudem ergeben, dass leistungsunabhängige Belohnungen, die ausdrücklich für die bloße Teilnahme an einer Aktivität angeboten werden, unabhängig vom Ergebnis zwar einen kurzfristigen Effekt auf Lernende haben können, auf lange Sicht jedoch deren intrinsische Motivation verringern (wegen der empfundenen „Wertlosigkeit“). Leistungsabhängige Belohnungen hingegen (also Belohnungen, die explizit für gute Leistungen bei einer Aufgabe vergeben werden) können die intrinsische Motivation aufrechterhalten oder sogar steigern, wenn der Empfänger der Belohnung sie als Bestätigung seiner Kompetenz interpretiert. Da leistungsabhängige Belohnungen allerdings oft nicht nur als Anreiz- sondern auch als Kontrollinstrument eingesetzt werden, können sie schnell auch als negativ empfunden werden und so die intrinsische Motivation auch wieder untergraben. Das Komplexitätsgefüge ist also durchaus unübersichtlich.

Intrinsische vs. extrinsische Motivation

Wir möchten natürlich, dass unsere Schülerinnen und Schüler intrinsisch motiviert sind – dass sie Mathematik aus Begeisterung für das Fach machen – und nicht erst durch externe Belohnungen oder durch die Androhung von Sanktionen „überredet“ werden müssen. Die Forschung zeigt, dass die intrinsische Motivation der extrinsischen tatsächlich überlegen ist. Aber auch diese hat ihren Wert. 

Schülerinnen und Schüler, die Mathematik mögen und Freude an ihr haben, sind naturgemäß schon intrinsisch motiviert. Sie geben aber zu, dass auch sie durch externe Anreize zu noch größeren Anstrengungen und besseren Leistungen ermuntert werden können. Dabei kann sich so etwas wie ein positiver Loopback-Kreislauf ausbilden: Externe Anreize führen dann zur Entwicklung intrinsischer Motivation. Ein Schüler, der dazu angehalten wird, für eine Prüfung richtig zu lernen, erbringt möglicherweise gute Leistungen, fühlt sich gut, erkennt, dass er erfolgreich sein kann, und ist selbst motiviert, sich auch künftig mehr anzustrengen. Die sich darin abzeichnende wichtige Beziehung zwischen Erfolg und Motivation werde ich an anderer Stelle noch ausführlich erörtern.

Lob

Die vielleicht unmittelbarste externe Belohnung, die uns Lehrkräften zur Verfügung steht, ist das Lob. Damit es tatsächlich positiv wirkt, sollte allerdings folgendes beachtet werden: 

  • Lob muss aufrichtig sein.

    Wenn Lob unehrlich oder mit Kontroll-Absichten vorgetragen wird, oder wenn es offensichtlich unverdient ist, wird es eher negative Folgen haben. Vor allem mit dem letzten Punkt tun sich Lehrkräfte manchmal schwer. Stellen wir uns einen Schüler vor, der üblicherweise nie seine Hausaufgaben macht. Eines Tages hat er sie doch einmal dabei, aber es handelt sich nur um hingehuschten Unsinn. Soll er nun dafür gelobt werden, dass er wenigstens mal etwas gemacht hat? Wird ihm damit nicht signalisiert, dass eine eigentlich indiskutable Leistung doch akzeptabel ist? In der pädagogischen Literatur wird empfohlen, sich in solchen Situation differenziert zu äußern. Die Lehrkraft könnte sagen, dass es gut sei, dass der Schüler die Aufgabe erledigt habe, dass die Qualität aber doch zu wünschen übrig lasse. Dass man enttäuscht sei, weil man wisse, dass er es durchaus ein bisschen besser könne. Lob und Belohnungen müssen verdient sein, damit sie sinnvoll sind und von den Lernenden auch ernstgenommen werden können. Es geht dabei auch um die eigene Authentizität und somit um das Ansehen der Lehrkraft, die das Lob ausspricht. Letztlich geht es auch um das Ansehen des Faches selbst.

  • Lob sollte sich auf den Prozess und nicht auf die Fähigkeiten beziehen.

    Das Loben von Fähigkeiten kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler eine feste (und limitierende) Vorstellung von dem entwickeln, was sie können und was nicht. Für ihre langfristige Entwicklung kann das sehr abträglich sein – schön beschrieben wird dieser Zusammenhang von Dweck in ihrem Mindset-Konzept. Aber auch das bloße Loben einer Anstrengung hat seine Tücken – oft ist es für Schülerinnen und Schüler sozial akzeptabler, sich so wenig wie möglich anzustrengen. Niemand möchte als Streber gelten. Zudem kann eine Aussage wie „Du hast dich wirklich angestrengt“ von einem Schüler als „Du bist dumm, aber danke für den Versuch“ interpretiert werden. Eine bessere Alternative ist es, das Produkt des Prozesses zu loben – „das ist eine brillante Lösung“, im Gegensatz zu „du hast wirklich hart an dieser Lösung gearbeitet“. In einem TES-Artikel erläuterte Dweck selbst, dass es nicht richtig sei, nur die Anstrengung zu loben und die Leistung zu ignorieren. Stattdessen empfiehlt sie, die Anstrengung (sowie die Strategien, den Fokus, die Ausdauer usw.) in Bezug auf das Ergebnis zu loben – mit besonderer Akzentuierung der Aspekte Lernen und Fortschritt. Das gehe zwar nicht ganz so leicht von der Zunge, werde unseren Schülerinnen und Schülern aber sicherlich mehr helfen.

  • Lob sollte unmittelbar und unerwartet erfolgen.

    Ein Lob verliert viel von seiner informierenden und motivierenden Wirkung, wenn es erst mit großer zeitlicher Verzögerung ausgesprochen wird. Lob darüber hinaus unvorhersehbar zu machen, ist nicht ganz einfach, kann aber von großem Nutzen sein. Das Ziel besteht nicht einfach darin, das Kind dazu zu bringen, nicht mehr nach Lob zu fragen, sondern ihm zu helfen, seine Arbeit anders zu betrachten – als etwas, das es zu seiner eigenen Zufriedenheit tut und nicht, um ein Lob von der Lehrkraft zu erhalten.  

Fazit

Belohnungen und Sanktionen müssen als Steuerungsinstrumente mit Bedacht eingesetzt werden. Wenn wir, überspitzt formuliert, die Schülerinnen und Schüler schon dafür belohnen, dass sie zum Unterricht erscheinen oder dass sie ihre Hausaufgaben dabei haben, oder wir sie undifferenziert mit Lob überschütten, wird ihre intrinsische Motivation vermutlich sinken, und wir finden uns in einem möglicherweise aussichtslosen Kampf um deren Wiederherstellung wieder. Es besteht auch die Gefahr, dass es zu einer Art „Belohnungsinflation“ kommt, bei der wir den Wert einer Belohnung ständig erhöhen müssen, um den gleichen Effekt zu erzielen. Wenn die Schüler lernen, dass sie jedes Mal, wenn sie etwas schwierig oder langweilig finden, eine Belohnung für ihre Bemühungen erwarten dürfen, wird plötzlich alles schwierig und langweilig. Sollten dann die Belohnungen plötzlich verschwinden, bricht das wackelige Kartenhaus zusammen. 

Auf der anderen Seite können Belohnungen und Sanktionen sinnvoll sein, wenn sie dosiert und differenziert eingesetzt werden und in ihrer Form zum jeweiligen Schüler passen (der eine braucht Süßigkeiten, die andere eine Ermahnung, ein Dritter Trost etc.) Wenn wir es richtig anstellen, können wir einen positiven Verstärkungskreislauf in Gang setzen, bei dem die anfängliche (äußere) Motivation zu Erfolgen führt, die langfristig  nachhaltigere (intrinsische) Motivation hervorbringen.

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